Plagiocephalus – Der einseitig abgeflachte Hinterkopf

Seit 1992 empfiehlt die American Academy of Pediatrics (AAP) Säuglinge beim Schlafen auf den Rücken zu legen, um das Risiko eines plötzlichen Kindstodes zu minimieren. Laut mehreren Studien steigt seitdem die Zahl der lagebedingten Plagiocephalien stetig. 

Eine Kopfverformung betrifft rund 70.000 Säuglinge in Deutschland, also rund 20%. Als Kinderphysiotherapeutin begegnet mir die Diagnose “Plagiocephalus” daher sehr häufig. Ich möchte Euch in diesem Artikel über die Ursachen und Folgen des einseitig abgeflachten Hinterkopfes aufklären und Tipps zur Prävention und Behandlung aufzeigen. 

Was ist ein Plagiocephalus?

Der medizinische Begriff Plagiocephalus kommt aus dem Griechischen und bedeutet “schiefer Kopf”. Genauer gesagt geht es um eine asymmetrische Abflachung des Hinterkopfes. Der Schädelknochen des Hinterkopfes ist so verformt, dass sich eine Seite vermehrt abflacht, während die gegenüberliegende Seite eine Rundung aufweist. Oft sind auch die anderen Schädelknochen von der Asymmetrie betroffen, so dass sie  auch im Gesicht sichtbar wird. Das erkennt man gut an den Ohren, welche sich dann nicht mehr auf gleicher Höhe befinden. Auch wirkt häufig ein Auge größer oder offener als das andere. 

Der Plagiocephalus kann zusätzlich mit einseitig verspannten Muskeln im Hals- und Nackenbereich auftreten. Das nennt man Torticollis. Manchmal setzen sich diese Verspannungen bis in den Rumpf- oder Beckenbereich fort und können so zu einer “bananenförmigen Haltung” führen. 
Ist der Hinterkopf symmetrisch abgeflacht, nennt man das Brachycephalus.

Wie erkenne ich einen Plagiocephalus?

  • Eine Seite des Hinterkopfes ist abgeflacht. Oft sind an dieser Stelle keine Haare vorhanden.
  • Die Ohren sind nicht auf gleicher Höhe.
  • Ein Auge wirkt größer oder offener als das andere. 

Was sind die Ursachen eines Plagiocephalus?

Die Schädelnähte eines Babys sind bei der Geburt noch nicht verknöchert, damit sich die Schädelplatten beim Durchtritt durch den Geburtskanal verschieben können. Auch nach der Geburt sind die Knochen noch sehr weich und verformbar, um eine Größenzunahme des Schädels zu gewährleisten. Denn das Volumen des Gehirns verdoppelt sich in den ersten 6-7 Lebensmonaten.

Durch die leichte Verformbarkeit in diesen ersten Lebensmonaten kann eine von extern einwirkende Kraft schnell zu einer Deformierung der Schädel- und Gesichtsknochen führen. Eine einseitige Lagerung, also permanenter Druck auf den Schädel, kann dabei eine starke externe Kraft darstellen. Ein Baby das oft auf dem Rücken liegt und dabei vermehrt zu einer Seite guckt kann schnell einen lagerungsbedingten Plagiocephalus ausbilden. 

Neben den lagerungsbedingten Schädeldeformitäten gibt es noch intrauterine, das heißt, im Mutterleib entstandene und unter der Geburt entstandene Deformitäten. Diese bilden sich jedoch in der Regel spontan zurück.

Welche Risikofaktoren begünstigen einen Plagiocephalus?

  • Intrauterine Enge
  • Geburtshilfliche Maßnahmen (z.B. Zange, Saugglocke)
  • Frühgeburten und Entwicklungsverzögerungen (einhergehend mit längeren Aufenthalten auf einer Intensivstation)
  • Mehrlingsgeburten
  • Einseitige Lagerung
  • Einseitiges Reizangebot (immer von der gleichen Seite füttern, ansprechen oder auf der gleichen Seite tragen)
  • Bewegungseinschränkungen der Halswirbelsäule (vor allem der Kopfgelenke)
  • Muskulärer Schiefhals (Torticollis)

Wie ist der Verlauf eines Plagiocephalus?

Da die Verformbarkeit der Schädelknochen im ersten halben Jahr am größten ist, ist ein Anstieg der Inzidenz bis zum 6. Lebensmonat zu beobachten. Im weiteren Verlauf bis zum Alter von 24 Monaten ist eine sinkende Anzahl lagebedingter Plagiocephalien zu verzeichnen. 

Ein Großteil der Studien empfiehlt eine stadiengerechte Therapie, um dem Plagiocephalus entgegenzuwirken und mögliche Folgen zu verhindern. Die größten Erfolge werden hierbei erzielt, wenn mit der Therapie vor dem 4.-6. Lebensmonat begonnen wird. Nur wenige Studien gehen davon aus, dass sich bestehende Asymmetrien ohne Behandlung verbessern oder vollständig zurückbilden. Ist einmal eine Abflachung des Hinterkopfes auf einer Seite eingetreten, fallen die Kinder in der Rückenlage immer wieder in die gleiche Stellung zurück und die Verformung verstärkt sich.

Welche Folgen kann ein Plagiocephalus haben?

Als häufigste Folge von lagerungsbedingten Schädelanomalien werden Entwicklungsverzögerungen angeführt. Mehrere Studien fanden einen Zusammenhang zwischen Plagiozephalie und Schwierigkeiten mit der kognitiven, psychomotorischen und sprachlichen Entwicklung, sozialen Fähigkeiten und Problemlösekompetenzen. Außerdem zeigen Babys mit einem einseitig abgeflachten Hinterkopf im Vergleich zu Kindern ohne Kopfdeformitäten einen auffälligen Muskeltonus.

Auch inwieweit sich ein Plagiocephalus auf die Entwicklung des Kiefers mit möglichen Fehlbissen auswirkt, wurde erforscht. Ein Zusammenhang zwischen lateralen Kreuzbissen und lagebedingten Deformitäten kann bestehen.  

Durch muskuläre Asymmetrien können Fehlhaltungen der gesamten Wirbelsäule auftreten. Diese können sich später als Skoliose manifestieren. Außerdem können sie es dem Kind erschweren, sich in Rücken- und Bauchlage zu stabilisieren und das Gleichgewicht zu finden. Aufgrund der einseitigen Belastungen können zudem Nacken- und Kopfschmerzen auftreten.

Wie wird ein Plagiocephalus behandelt?

Meine Erfahrungen als Kinderphysiotherapeutin zeigen, dass ein früher Behandlungsbeginn (vor dem 4. Lebensmonat) einen schnellen Erfolg erzielt und einen Plagiocephalus beheben oder stark mindern kann. Auch Studienergebnisse zeigen: Je früher der Behandlungsbeginn, desto leichter und schneller der Verlauf

Das Behandlungsspektrum umfasst dabei unterschiedliche Ansätze, welche aufeinander aufbauen:

  • Individuelles Handling und häufiges Tragen
  • Lagerungstherapie mit speziellen Kissen
  • Physiotherapie
  • Helmtherapie

Individuelles Handling und häufiges Tragen

Wichtig ist, dass Reize auf der Lieblingsseite vermieden werden. Das Baby sollte immer von der nicht-bevorzugten Seite angesprochen sowie über diese Seite hochgehoben und hingelegt werden. Auch der Wechsel der Lage im Kinderbett ist wichtig. 

Das häufige Tragen in einem Tuch oder einer Trage kann ebenfalls einen lagebedingten Plagiocephalus verhindern oder verbessern. 

Lagerungstherapie mit speziellen Kissen

Zur Lagerungstherapie gibt es verschiedene Möglichkeiten. Um in Rückenlage den Druck vom Hinterkopf zu nehmen und ein Drehen des Kopfes zur Lieblingsseite zu vermeiden, eignen sich bestimmte Kissen mit einem Loch.

Ich empfehle als Kinderphysiotherapeutin in der Praxis gerne das SimoNatal Kissen von BybyDorm. Es ist temperaturausgleichend, atmungsaktiv und Allergiker geeignet.

Eine weitere Option ist die Lagerung des Babys auf der Nicht-Lieblings-Seite mit Hilfe eines Stillkissens. Durch den Druck auf die runde Seite des Hinterkopfes bekommt der Schädel die Möglichkeit sich zurückzuformen. Auch die Bauchlage kann durch ein Stillkissen gefördert werden und ebenfalls den Druck vom Hinterkopf nehmen.
Generell sind die Seitlage und die Bauchlage wichtige und entwicklungsfördernde Positionen für die Kleinen und sollten auch ohne Kopfdeformitäten regelmäßig eingenommen werden.
Wichtig: Aufgrund der Gefahr des plötzlichen Kindstodes sollten Babys nachts immer auf dem Rücken schlafen. Die Seiten- und Bauchlagerung wird nur im Beisein der (wachen) Eltern empfohlen.

Physiotherapie

Nach einer genauen Anamnese und Befunderhebung werden den Eltern individuelle Handgriffe zum Hochnehmen, Hinlegen, Tragen sowie An- und Ausziehen des Kindes gezeigt, wodurch sich der Druck auf den Schädel reduzieren soll.

Da oft Bewegungseinschränkungen Ursache eines Plagiocephalus sind, sollten auch diese frühzeitig therapiert werden. Zu den möglichen Behandlungsformen zählen neben manueller Therapie zur Verbesserung der Beweglichkeit und Entspannung bestimmter Muskeln auch passive Dehnungen und Therapieansätze nach Bobath oder Vojta.

Der Behandlungsverlauf wird immer wieder angepasst und Übungen zur Förderung der sensomotorischen Entwicklung mitgegeben. 

Helmtherapie

Eine Helmtherapie ist notwendig, wenn der Behandlungsbeginn nach dem 6. Lebensmonat stattfindet und die Plagiozephalie weit fortgeschritten ist. Oder wenn sich die Asymmetrieparameter nach 4 Monaten Lagerung und Physiotherapie nicht verbessert haben. 

Ein/e Kinderorthopäde/in kann dann eine individuell angefertigte, drucklos anliegende Helmorthese anordnen. Diese soll das physiologische Wachstum modellieren und die Kopfform damit in die gewünschte Richtung lenken. Dadurch wird eine passive Harmonisierung des Kopfes ermöglicht. Dazu sollte der Helm mehr als 23 Stunden täglich getragen werden. Die durchschnittliche Behandlungsdauer beträgt 4-6 Monate. 

Die Kosten für eine Kopforthese liegen bei 2000€, werden aber häufig von der Krankenkasse getragen. 

Welche Präventionen gibt es, um einen Plagiocephalus zu vermeiden?

  • Wechselseitiges Hochnehmen und Hinlegen des Kindes
  • Wechselnde Orientierung des Bettes (Babys drehen den Kopf am liebsten zur Seite einer Lichtquelle oder zu der Seite, an der die Eltern ans Bett kommen)
  • Unbeliebte Seite bewusst fördern (z.B. mit Spielzeug oder optischen Reizen)
  • Wechselnde Tragepositionen
  • Stillen in wechselnden Positionen 
  • Limitierte Zeit in Autositzen, Federwiegen, Babywippern usw. 
  • Tägliche “tummy time”: Wache Säuglinge sollten unter Beobachtung viel in Bauchlage liegen.

Häufige Fragen aus der Praxis

Kann sich ein Plagiocephalus verwachsen bzw. von allein wieder zurückbilden?

Wenn die Abflachung am Hinterkopf nur schwach ausgeprägt ist und die Halswirbelsäule in alle Richtungen frei beweglich ist, kann sich der Plagiocephalus von alleine verwachsen. Meine Erfahrung in der Praxis zeigt aber, dass sich in den meisten Fällen der Verlauf durch ein Abwarten eher verschlechtert. Je eher mit Lagerungen und Physiotherapie begonnen wird, desto besser.

Bis wann kann sich der Kopf des Kindes wieder zurückformen?

Die größte Verformbarkeit des Schädels ist bis ca. zum 6. Lebensmonat gegeben. Darum ist es wichtig möglichst vorher mit therapeutischen Interventionen zu beginnen. Danach verlangsamt sich das Schädelwachstum deutlich. Im Alter von einem Jahr ist es zu fast 90% abgeschlossen. Nach 18 – 24 Monaten verschließt sich die große Fontanelle, dann ist kaum noch mit einer Verbesserung zu rechnen.

Wie lange dauert die Behandlung eines Plagiocephalus?

Je nach Ausprägung und Alter des Kindes kann die Behandlungszeit variieren. Wird die Verformung früh erkannt, können einige Wochen reichen um eine runde Schädelform wieder herzustellen. Bei stärkeren Deformitäten und spätem Behandlungsbeginn können mehrere Monate Physiotherapie und eine eventuelle Helmtherapie notwendig sein.

Wann wird eine Helmtherapie notwendig?

Wenn im 6. Lebensmonat noch eine starke Schädelasymmetrie besteht, kann meist nicht mehr auf einen Helm verzichtet werden. Da sich die Kopfform bis zum ersten Geburtstag nur noch schwer beeinflussen lässt muss der Helm dann über 4-6 Monate für 23 Stunden am Tag getragen werden.

Wie sieht die physiotherapeutische Behandlung beim Plagiocephalus aus?

Die Behandlung wird immer individuell auf das Kind und seine Probleme abgestimmt. Neben mobilisierenden Maßnahmen gehört dazu vor allem die Zusammenarbeit mit den Eltern, damit diese Übungen zur Dehnung und Kräftigung in den Alltag integrieren können.

Fazit

Der lagebedingte Plagiocephalus sollte frühestmöglich erkannt und behandelt werden. Neben der Aufklärung der Eltern können gezielte Lagerungsmaßnahmen und physiotherapeutische Interventionen effektiv eine Schädeldeformität verbessern.

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